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Adolph Goldschmidts Bedeutung für die Kunstgeschichte.
Seine Methode, sein Œuvre, seine Internationalität

"Goldschmidt was one of the founders of the modern study of medieval monuments"
(Brush 1996, 134)

Als die amerikanische Kunsthistorikerin Kathryn Brush 1996 ihr Buch "The Shaping of Art History. Wilhelm Vöge, Adolph Goldschmidt and the Study of Medieval Art" vorlegte, bedeutete dies nichts weniger als eine Rückkehr des zeitweise nahezu vergessenen Gelehrten in das Bewußtsein des Faches über den weiten Umweg angelsächsischer Wissenschaftsgeschichte.

Adolph Goldschmidt (1863-1944) hatte, wie Brush nachwies, in seiner akademischen Laufbahn offiziell mindestens 96 Dissertationen und 4 Habilitationen betreut. Nahezu alle herausragenden Vertreter des Faches zählten zu seinen Schülern, womit Goldschmidt die Kunstgeschichte in Deutschland bis weit in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts maßgeblich geprägt hat. Durch die nüchterne und präzise Arbeit Goldschmidts am Objekt wie auch der weitsichtigen Einbettung der Denkmäler in ihre Zeit und deren Hintergrund erhielt die jüngere Kunsthistoriker-Generation entscheidende Impulse.

Die von Goldschmidt vermittelte Kunst der Beschreibung ist von äußerster Präzision und geradezu sprichwörtlich. Bis heute berühmt ist sein von Hans Jantzen überliefertes Bild des Beschreibenden als Fliege mit gleichsam mikroskopischem Blick: „Denken Sie, Sie seien eine Fliege und kröchen quer über die Figur hinweg. Beschreiben Sie den Weg dieser Fliege über alle Höhen und Tiefen des Gewandes!“

Goldschmidt verkörperte aber auch in den Zwischenkriegsjahren wie kein anderer eine internationale Ausrichtung und stand für die ‚grenzenlose’ Denkmälerkenntnis. Wie sein Freund Aby Warburg bereiste er die USA kreuz und quer und interessierte sich besonders für die Kunst der Urbewohner. Wenig verwunderlich also, dass Arthur Kingsley Porter in Harvard einer seiner engsten Freunde wurde, mit dessen Nationalismen überwindender, provokativ vorgetragener „Spain or Toulouse?“–These Goldschmidt völlig übereinstimmte.
Mit erstaunlicher Weitsicht hatte Goldschmidt auch wiederholt Stellung zum Stand kunsthistorischer Forschung in der Gesellschaft bezogen. In einem Beitrag anläßlich des 70. Geburtstags des preußischen Kultusministers Schmidt-Ott verankerte er die Kunstgeschichte unmißverständlich innerhalb der Geisteswissenschaften und plädierte zugleich gegen eine zu starke Spezialisierung und für die denkbar größte Methodenoffenheit: „Schließlich mündet ja alle Kunstgeschichte in die Geschichte des Geistes. Ein Werturteil über die einzelnen Phasen und Richtungen verbietet sich daher auch; sie alle haben ihre Bedeutung in der Kunstforschung.“ – „So wird dasjenige Werk der Kunstgeschichte in erster Reihe stehen, das neben seinem bestimmten Standpunkt doch Kenntnis der übrigen Anschauungsweisen bezeugt und ihre wertvollen Resultate sich zu eigen gemacht hat.“

Erst in den letzten Jahren wurde deutlich, welche entscheidende Vorreiterrolle Goldschmidt als Brückenbauer und Türöffner in die kunsthistorischen Schatz- und Wunderkammern der Neuen Welt spielte. Wohl kein anderer europäischer Kunsthistoriker hatte eine derart umfassende Kenntnis der amerikanischen Privatsammlungen wie der dort hochgeschätzte und immer wieder in die Vereinigten Staaten eingeladene Goldschmidt. Planmäßig arbeitete er während seiner wiederholten USA-Forschungsreisen nahezu alle großen Kunstsammlungen und neu entstehenden Museen ab. Unschätzbar für die Denkmalkenntnis des Faches waren seine dortigen ‚Entdeckungen’, die er unter anderem in das Corpus der mittelalterlichen Elfenbeine einfließen ließ. Nicht ohne Stolz beschreibt er, wie er zusammen mit seinem jungen Begleiter Hanns Swarzenski in wenigen Stunden eine 500 Handschriften des 10.-16. Jahrhunderts umfassende Privatsammlung computergleich blitzinventarisierte.

Im Jahr 1914 veröffentlichte Goldschmidt den ersten von drei Inventarbänden der mittelalterlichen Elfenbeine, die weit verstreut und schlecht dokumentiert waren. 1926 und 1932 schrieb Goldschmidt zwei Bände für das von Richard Hamann herausgegebene Corpus der mittelalterlichen Bronzetüren. Zur gleichen Zeit publizierte er die beiden großen Bände über die karolingische und ottonische Buchmalerei. Goldschmidts Ansehen in der englischsprachigen Gelehrtenwelt wuchs fortan zunehmend. Der enge wissenschaftliche Austausch mit Arthur Kingsley Porter und Paul Sachs in Harvard führte schließlich zu zwei ausgedehnten Vortragstourneen durch die USA in den Jahren 1927 bis 1928 und von 1930 bis 1931. Nach der Emeritierung Goldschmidts im Jahr 1929 erreichten ihn unverändert zahlreiche Anfragen aus den Vereinigten Staaten, so dass er 1936/37 nicht zuletzt aufgrund seiner Freundschaft mit Walter S. Cook dorthin zurückkehrte, um an der New Yorker Universität wie auch in Princeton, Yale, Harvard, Wellesley College, an der Morgan Library sowie im Cleveland Museum of Art zu lehren. Seine überragende Stellung und Autorität in den USA nutzte Goldschmidt in den 1930er Jahren auch für andere. So war er beispielsweise entscheidend daran beteiligt, dem aus Nazi-Deutschland geflohenen deutsch-jüdischen Kunsthistoriker Jacob Rosenberg, mit dem er befreundet war, durch seine Empfehlung zu einer Stelle in Harvard zu verhelfen.

Adolph Goldschmidt – Ein akademischer Lebenslauf im 20. Jahrhundert

Berlin – Dissertation, Habilitation, Privatdozent und Außerordentliche Professor
Unmittelbar nach seiner Dissertation 1889 reiste Goldschmidt durch Belgien, Frankreich, England und in die Niederlande, um Material für seine Habilitation über den Albani-Psalter, eine zentrale Handschrift des 12. Jahrhunderts, zu sammeln. Ein typisches, halb Europa überspannendes Itinerar Goldschmidts aus dieser Zeit lautet beispielsweise: Cherbourg – Bayeux – Caen – Lisieux – Paris – Freiburg. In Berlin lehrte er als Privatdozent von 1893-1903 als erster Mediävist im Fach Kunstgeschichte. Obwohl als Privatdozent offiziell nicht befugt Dissertationen anzunehmen, tat er es dennoch und prägte nachhaltig die Arbeiten seiner damaligen Schüler Arthur Haseloff und Georg Swarzenski, die ebenfalls herausragende Mediävisten werden sollten. In Berlin traf er auf Heinrich Wölfflin, der zu dieser Zeit an der Friedrich-Wilhelms-Universität lehrte und mit dem ihn in der Folgezeit eine enge Freundschaft verband. Als Forscher, dessen Methode substantiell im Studium der Objekte und ihrer Quellen wurzelte, schloß Goldschmidt auch schnell Freundschaft mit dem Museumsdirektor Wilhelm von Bode und dessen Kurator Wilhelm Vöge. 1903 wurde Goldschmidt in Berlin zum Außerordentlichen Professor ernannt.

Halle - Ordentliche Professur, Gründung des Deutschen Vereins für Kunstwissenschaft
Im folgenden Jahr nahm er den Ruf zur Einrichtung eines kunstgeschichtlichen Institutes an der Universität zu Halle an und erhielt den Rang eines Ordentlichen Professors. Die Hallenser Jahre 1904 bis 1912 widmete Goldschmidt vor allem dem Aufbau des Institutes und der Ausbildung der Studierenden. In dieser Zeit betreute er nicht weniger als 42 Doktoranden, darunter Hans Jantzen, Otto Homburger, Rudolf Oldenbourg, Ludwig Burchard, Werner Noack, Hermann Giesau und mit Katharina Köpchen und Hertha Wienecke sehr früh auch zwei Promovendinnen. Ebenfalls in diese Zeit fällt die Etablierung der sogenannten „Goldschmidt-Schule der Kunstgeschichte“. Goldschmidts Interesse überspannte alle Epochen der Kunst. Zusätzlich zu seiner Betreuung von Dissertationen zur Kunst des Barock, der Renaissance und unterschiedlichster mittelalterlicher Themen, nahm er starken Anteil an der zeitgenössischen Kunst in Halle und Thüringen und beriet die Stadt beim Ankauf moderner Kunst. 1908 hob er den Deutschen Verein für Kunstwissenschaft mit aus der Taufe, der die wissenschaftliche Inventarisierung von Denkmälern in Deutschland vorantrieb.

Berlin – Nachfolge Heinrich Wölfflins
Als Heinrich Wölfflin Berlin im Jahr 1912 verließ, sorgte dieser dafür, daß sein ehemaliger Kollege Goldschmidt seine Stelle einnahm. In Berlin vergrößerte Goldschmidt nicht nur entscheidend den Apparat für Neuere Kunstgeschichte, sondern betreute auch bis zu seiner Emeritierung weitere 54 Dissertationen. Unter den herausragenden Schülern und Doktoranden der Berliner Jahre waren beispielsweise Ernst Gall, Alexander Dorner, Albert Böckler, Alfred Neumeyer, Rudolf Wittkower, Erich Meyer, Ulrich Middeldorf, Kurt und Josepha Weitzmann, Dorothee Westphal und Annemarie Spahn. Desweiteren fungierte Goldschmidt als Betreuer für die Habilitationen von Hans Kauffmann und vermutlich von Erwin Panofsky.

Als Jude im Nationalsozialismus
In den Jahren 1933 bis 1939 wurde nahezu das gesamte Kollegium des Apparats für Neuere Kunstgeschichte der Berliner Friedrich-Wilhelms-Universität ausgetauscht, der in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts das größte Institut für Kunstgeschichte im deutschsprachigen Raum gebildet hatte. Durch das „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ wurde sechs Dozenten die Lehrerlaubnis entzogen, darunter dem bereits seit 1929 emeritierten, ehemaligen Ordinarius Goldschmidt. In seinen Lebenserinnerungen hält er mit präzisem Blick und nur scheinbar unerschütterter Sprache die schleichenden Veränderungen der Lebens- und Forschungsbedingungen für Juden im Nationalsozialismus fest. Als ihm zum ersten Mal in einer Bibliothek die Einsicht in eine Weltchronik des 13. Jahrhunderts verwehrt werden soll, behauptet er mit Verweis auf den Beginn der Chronik, bei Adam und Eva erforschen zu wollen, ob er vielleicht von Moses abstamme – woraufhin ihm der mit solcherart funkelndem Witz intellektuell völlig überforderte Bibliothekar die Handschrift vorlegt. Goldschmidt beendet diese Beschreibung seines inneren Abschieds aus der Forschung in Deutschland mit den augustinisch-vielsinnigen Worten: „Das war meine letzte deutsche Bibel.“ 1939 konnte Goldschmidt im letzten Moment und durch die Hilfe des Sammlers Robert von Hirsch (1883-1977) nach Basel fliehen. Dort verstarb er im Jahr 1944.



Kathryn Brush, The Shaping of Art History: Wilhelm Vöge, Adolph Goldschmidt and the Study of Medieval Art, Cambrige u.a. 1996, S. 151, Abb. 28.

Adolph Goldschmidt. Lebenserinnerungen, hrsg. u. kommentiert von Marie Roosen-Runge-Mollwo. Mit Beitr. von Kai Robert Moeller .... - Berlin : Dt. Verl. für Kunstwiss., 1989, S. 239.

Adolph Goldschmidt. Lebenserinnerungen, hrsg. u. kommentiert von Marie Roosen-Runge-Mollwo. Mit Beitr. von Kai Robert Moeller .... - Berlin : Dt. Verl. für Kunstwiss., 1989, S. 343.

Adolph Goldschmidt. Lebenserinnerungen, hrsg. u. kommentiert von Maria Roosen-Runge-Mollwo. Mit Beitr. von Kai Robert Moeller .... - Berlin : Dt. Verl. für Kunstwiss., 1989, S. 136.

Kunsthistorisches Seminar, Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin, 1915. Von links nach rechts: Ferrand Hudig, Eberhard Freiherr Schenk zu Schweinsberg, Adolph Goldschmidt, Hans Kauffmann, Arthur von Schneider, Rudolf Hoecker, Edmund Schilling, Erwin Panofsky.

Kathryn Brush, The Shaping of Art History: Wilhelm Vöge, Adolph Goldschmidt and the Study of Medieval Art, Cambrige u.a. 1996, S. 99, Abb. 23.
Adolph-Goldschmidt-Zentrum zur Erforschung der romanischen Skulptur